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Straßenfotografie I: Zwischen Sozialkritik und Strafrecht

Straßenfotografie I: Zwischen Sozialkritik und Strafrecht

Ich liebe Straßenfotografie. Ich habe lange über den ersten Satz in diesem Beitrag nachgedacht, aber nichts leitet ihn so gut ein wie dieser Satz. Ich LIEBE Straßenfotografie. Warum? Weil ich nirgends sonst als Fotograf so authentische Bilder machen und dabei gleichzeitig eindrucksvoll Geschichten erzählen kann – mit Ausnahme der Kriegsfotografie, aber das ist eine andere Geschichte. Man könnte sogar das erst überhaupt entstandene Foto der Straßenfotografie zuordnen. Leider ist „Street Photography“ in Zeiten gestiegener Sensibilität bei den Persönlichkeitsrechten heutzutage eine vertrackte Angelegenheit. Auch technisch gibt es ein paar Dinge zu beachten. Auf beide Aspekte möchte ich ein wenig eingehen. In diesem Beitrag soll es zunächst um Recht und Moral gehen.

Straßenfotografie ist eine "rechtlich heikle Kunst".

Zunächst einmal zum Komplizierten, dem rechtlichen Rahmen: In Deutschland gilt das Recht am eigenen Bild als Teil der Persönlichkeitsrechte. Das bedeuten, wenn ich ein Foto nutzen möchte, auf dem eine Person (oder auch mehrerer) im Mittelpunkt stehen, benötige ich deren Einverständnis, falls ich die Fotografie ausstellen, ins Internet hochladen oder sonst wie öffentlich nutzen möchte. Ausnahmen gelten für größere Gruppen von Menschen und zum Beispiel Personen, die mehr oder weniger zufällig als „Beiwerk“ auf ein Foto geraten sind. Das macht die Straßenfotografie zu einer „rechtlich heiklen Kunst“.

Angesichts der Techniken, die heute Geheimdiensten oder sonstigen Datensammlern zur Verfügung stehen, um Lichtbilder online zu sammeln und zuzuordnen, wollen manche die Straßenfotografie aus gutgemeinten Gründen in ein Datenschutz-Korsett stecken – oft, um Personen zu schützen, die nur allzu gerne selber ihre Selfies bei jeder Gelegenheit im Internet zu verbreiten. In meinen Augen kann Fotokunst so genauso wenig funktionieren wie Malerei, bei der aus politischen Gründen die Farben rot und braun nicht verwendet werden dürfen. Kunst muss frei bleiben – auch von Ängsten, sonst gibt es keine Kunst mehr. Und auch wenn wir nicht von Kunst, sondern von Kunsthandwerk sprechen wollen, gefällt mir das Ergebnis nach diesen „neuen Regeln der Straßenfotografie“, denen zufolge unter allen Umständen identifizierbare Gesichter vermieden werden müssen, nicht besonders. Zu viele Regeln töten eben die Kunst (Vorsicht, der Link ist Satire).

Eben aus diesem Grund ist in Deutschland die Freiheit der Kunst im Grundgesetzt verankert. Bei einem Streitfall ist es Aufgabe von Richtern das Recht auf Freiheit in der Kunst mit dem Recht am eigenen Bild abzuwägen. Genau das findet auch statt. Betrachtet man die Sachlage übrigens retrospektiv, lässt sich sagen, dass viele bedeutende Fotografien, die uns heute als historische Dokumente etwas über das Leben vergangener Zeiten erzählen, nicht existieren würden, hätten die Fotografen jene restriktiven Regeln der so genannten Fineart-Straßenfotografie damals anwenden müssen. Hier spricht übrigens auch der Historiker in mir (sofern mich die paar Jahre an der Uni dazu gemacht haben). Im Ausland, zum Beispiel in Großbritannien oder den USA, ist die Situation sowieso anders: Was im öffentlichen Raum passiert, kann auch abgelichtet und als Bild genutzt werden.

Straßenfotografie sollte den Gesetzen der Humanität, Authentizität und Ästhetik folgen.

Nun zum Komplizierteren: Meiner Meinung nach sollte ein derart wichtiges erzählerisches Medium wie die Straßenfotografie weniger den Regeln des Staates    als vielmehr den Gesetzen der Humanität, Authentizität und Ästhetik folgen. Und zwar in dieser Reihenfolge. Zunächst zur Humanität: Die Würde der Menschen,    die ich abbilde, darf nicht verletzt werden. Das ist kompliziertes als es sich anhört. Dazu ein Beispiel: Einen armen Menschen in seinem Elend zu fotografieren,    kann paradoxerweise dazu beitragen, die Würde dieser Person wiederherzustellen. Das Lichtbild kann den Außenseiter aus seiner Unsichtbarkeit am Rand    der Gesellschaft holen und dessen Menschlichkeit sichtbar machen, die ihm sonst verwehrt wird. Es gibt den Gesichtslosen ein Gesicht. Das bedeutet    aber nicht, dass sich jeder Straßenfotograf als sozialkritischer Heilsbringer aufspielen darf. Schon gar nicht in Deutschland, wo seit Anfang 2015    ein Gesetz in Kraft ist, das schon das bloße Antippen des Auslöser bestraft, falls sich im Sucher ein Person befindet, deren Hilflosigkeit ich mit meinem Bild zur Schau stelle.

Selbst unabhängig davon sind solche Bilder eine Gradwanderung. Eine Frage von Fingerspitzengefühl und Sensibilität, denn der eine Straßenbewohner mag seinen Stolz wiederfinden durch das Bild, der andere versinkt dagegen noch tiefer in Scham. Solche Dinge gilt es zu spüren und zu respektieren. Für mich spielt auch eine Rolle, zu welchem Zweck ich fotografiere: Arbeite ich nur für das eigene Portfolio, habe ich immer im Hinterkopf, die sichtbare Not eines Menschen nicht für das eigene Prestige ausnutzen zu wollen. Fotografiere ich mit einem publizistischen Hintergrund – als Journalist oder Dokumentar – kann meine Arbeit vielleicht dazu beitragen, Not zu lindern – vielleicht nicht unmittelbar, aber möglicherweise in Zukunft. Das macht einen großen Unterschied. Und birgt Verantwortung.

Im zweiten Teil dieses Beitrages soll es um technische Fragen der Straßenfotografie gehen. Abonnieren Sie mich auf Facebook oder folgen Sie mir auf Twitter, um die Fortsetzung nicht zu verpassen.

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